SOUND WORK(S) | Arbeit in der künstlerischen Praxis

Künstlerisches Begleitprogramm der GfM-Jahrestagung 2022


Arbeit bestimmt unsere Lage, beruflich wie privat. Wir strukturieren unser Leben nach Arbeits- und Feiertagen, wir diskutieren über Care Work und arbeiten an unserer Work-Live-Balance, wir betreiben Beziehungsarbeit und kritisieren globale Arbeitsmärkte. Menschen, die ihre Kraft in künstlerische Arbeiten stecken, gehören nicht erst seit Corona zum städtischen Prekariat. Arbeit ist auch Gegenstand ästhetischer Auseinandersetzungen. Im Herbst 2022 kuratieren wir in Halle/Saale in ein kulturelles Programm zum Thema Arbeit in der künstlerischen Praxis: WORK.

Impuls für die geplanten Veranstaltungsreihe ist die Austragung der diesjährigen Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM) – der mit Abstand am besten besuchten Fachkonferenz medienwissenschaftlicher Forschung – zum Thema Arbeit. Diese wird im Herbst 2022 von der Abteilung Medien- und Kommunikationswissenschaft (MuK) der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ausgerichtet. Das Team der Professur „Musik und Medien“ dokumentiert dabei im künsterischen Begleitprogramm den Brückenschlag zwischen Performances, die musik- und medienästhetische Grenzbereiche ausloten. Mit WORK | Arbeit in der künstlerischen Praxis wird das Thema der Tagung für die Bürger:innen der Stadt geöffnet. Austragungsort soll die ›Schwemme‹ (https://schwemme.org) sein.

Die Schwemme ist eine ehemalige Brauerei am Ufer der Saale, wo derzeit mit bürgerschaftlichem Engagement ein Freiraum für Kunst sowie ein Zentrum für Co-Working entsteht; der ›under construction‹-Charme der Location macht das Thema sinnlich erfahrbar. Darüber hinaus liegt die ›Schwemme‹ mit ihren besonderen räumlichen Optionen in unmittelbarer Nähe zum Mitteldeutschen Multimediazentrum (MMZ), dem Standort der MuK und Austragungsort der Tagung. Der Ort bietet eine Bar, eine Hoch-Bühne im Außenbereich (›Schwemme-Box, siehe Bild 1), ein für Performances bestens geeignetes Kellergewölbe und einen offenen Kunstraum etwa für Ausstellungen (siehe Bild 2) – kurz: genug Platz um Arbeit als zentrales Thema unserer Lebenswelt künstlerisch zu reflektieren und dabei räumlich erfahrbar zu machen. Wir planen in der Schwemme ein Programm, das visuelle, auditive und performative Arbeiten zum Thema Arbeit versammelt:  Die eingeladenen regionalen und internationalen Künstler:innen setzen sich in ihren Werken jeweils mit verschiedenen inhaltlichen und medialen Zugängen mit dem Thema Arbeit auseinander: Während der Konzeptkomponist Johannes Kreidler in Fremdarbeit und Earjobs die Konsumierbarkeit von Musik thematisiert, lenkt Thomas Jeschners Videoinstallation Mansfelder Geschrey  den Blick auf Biographien von Bergarbeiter:innen der Region. Die hallesche Fotografin Yvonne Most arbeitet sich in ihren Recherchen an 32 Jahren Einheit ab. In The Movement of People Working inszeniert der New Yorker Künstler Phill Niblock audiovisuelle Stillleben globaler Arbeitswelten zu minimalistischen Drone-Sounds, während Philipp Hahn sich in seiner Installation 2 Sekunden Daten mit Künstlichen Intelligenzen in Arbeitsvorgängen auseinandersetzt.


Philipp Hahn: 2 Sekunden DatenTranslating From Machine To Human

In seiner Installation 2 Sekunden Daten beschäftigt sich der Medienkünstler Philipp Hahn mit dem, was wir ›künstliche Intelligenz‹ (KI) nennen. Maschinen nehmen heute die ganze Bandbreite menschlicher Kultur auf und kategorisieren sie zu verschiedenen Zwecken. Das Verstehen der Welt soll KIs u.a. anhand der Erkennung von Arbeitsvorgängen beigebracht werden, und zwar durch das Training mit großen Mengen von Youtube-Videos. Philip Hahns Installation macht an einem sogenannten ›Human Action Set‹ des MIT auf intuitive Weise verständlich, wie groß die Bandbreite kultureller und medialer Einflüsse auf die Darstellung von Arbeitshandlungen sein kann und lässt ahnen, wie weit algorithmische Unterscheidungen von der menschlichen Auffassungsgabe noch entfernt sind.

https://maschinenzeitmaschine.de


Thomas Jeschner: Mansfelder Geschrey

Die Videoinstallation basiert auf Interviews mit ehemaligen Berg- und Hüttenleuten des Mansfelder Reviers aus den Jahren 2013/14. Ausgewählte Ausschnitte dieser Interviews sind auf im Halbkreis angeordneten Monitoren als Loop zu sehen. Die Ausschnitte sind nach Themen wie Intention der Arbeit, Angst, Tod, der Frage nach Herkunft, die Schließung der Schächte und Hütten geordnet. Das Publikum steht im Mittelpunkt der Installation. Betrachtende können sich individuell dem Strom der Geschichten hingeben.


Johannes Kreidler: Fremdarbeit & Earjobs

Johannes Kreidler gehört zu den führenden Komponist:innen seiner Generation. Zwei seiner konzeptuellen Arbeiten nehmen konkret Bezug auf die globalisierte Arbeitswelt: Für Fremdarbeit heuerte er einen Komponisten aus China und einen Audioprogrammierer aus Indien an, um typische Exemplare seiner eigenen Musik billig produzieren zu lassen. Earjobs reflektiert die ökonomischen Begleitumstände der digitalisierten Musikproduktion: Unter Berücksichtigung des gesetzlichen Mindestlohns zahlt Johannes Kreidler sein Publikum fürs Hören: Muzak wird dabei wesentlich besser bezahlt als experimentelle Musik. Die Preise berücksichtigen den gesetzlichen Mindestlohn – wer eine Stunde Hörarbeit leistet, erhält mindestens 8,50 €. Jede Zahlung wird versteuert, Schwarzhören ist nicht möglich, Studenten werden als unbezahlte Praktikanten betrachtet, Kinderarbeit ist verboten. 

www.kreidler-net.de | www.kulturtechno.de


Yvonne Most: Wende, Wandel, Widersprüche

Die hallesche Fotografin Yvonne Most hat sich im Zuge eines Arbeitsstipendiums zum Thema »30 Jahre Einheit« dokumentarisch mit Menschen und Orten Mitteldeutschlands in Zeiten des Strukturwandels beschäftigt. Ihre Fotorecherchen reflektieren den Stand der Beziehungs- und Identitätsarbeit deutscher Einheit und der sich wandelnden Arbeitsrealitäten. 

http://www.dokmost.de 


Phill Niblock: The Movement of People Working

Der New Yorker Künstler begann 1973, in verschiedensten Erdteilen Menschen bei der Arbeit zu filmen. Seine Filme nannte er schlicht: The Movement of People. Mit unbeweglicher Kameraeinstellung zeigen die Filme Menschen in China, Brasilien, Puerto Rico, Ungarn und anderen Ländern vor allem bei der Arbeit in der Landwirtschaft. Oft sieht man sie über einen längeren Zeitraum hinweg immer wieder die gleichen Bewegungen ausführen: ein Maurer, der Ziegelsteine aufeinanderschichtet; ein Bauer, der die Ernte pflückt. Durch die Wiederholung der Bewegungen entsteht ein repetitiver Rhythmus – der sich auch in der minimalistisch-einprägsamen Drone-Musik spiegelt. 

http://www.phillniblock.com 


Andrea Neumann: Female Slapstick – künstlerisch begleitetes Panel

Medien- und Kulturschaffende bereichern unser Leben in vielfältiger Weise durch ihre Perspektiven, kreativen Impulse sowie die damit verbundenen Lebensentwürfe. Nach wie vor sind die Chancen gestalterische Vorstellungen sowie die damit verbundenen Ideen zu präsentieren und durchzusetzen und somit an der Gestaltung der Kulturlandschaft mitzuwirken, zwischen den Geschlechtern ungleich verteilt.

Im Rahmen eines intermittierenden Panel-Gesprächs tritt Prof. Dr. Franziska Heller (Moderation) in eine Diskussion mit Frauen aus der Medien- und Kreativwirtschaft in Sachsen-Anhalt. In dem Gespräch rückt unter anderem die Genderperspektive sowie die damit verbundenen Fragestellungen für die regionale Kulturpolitik im Allgemeinen sowie der Medien- und Kulturförderung am Standort Halle (Saale) im Speziellen in den Fokus. Welche Rollen- und Lebensentwürfe und damit verknüpfte Perspektiven gibt es in der Medienwirtschaft für Frauen in Halle (Saale)? Zu diesen und anderen Fragen sprechen miteinander (noch nicht vollständig bestätigt):

Jana BrandtProgrammdirektorin des MDR (Halle/Saale)
Dana MesserschmidtProducerin Mitteldeutsche Medienförderung
Skadi LoistJuniorprofessorin für Produktionskulturen in audiovisuellen Medienindustrien an der Filmuniversität Babelsberg
Ayla GüneyFilmschaffende
Ann Sophie HenneJournalistin & Gründerin

Begleitet wird das Gespräch von den Stummfilmen „Wenn die kleine Filmkleberin geschludert hat“ (1925, 14 Min.) sowie einem Stummfilm aus dem Female Slapstick in bester Charlie Chaplin & Buster Keaton Manier. Einführend ist ein Input per Videobotschaft der international renommierten Expertin Prof. Dr. Maggie Hennefeld (University of Minnesota, US) geplant, in welchem sie auf das Politische hinsichtlich weiblicher Film-Komikerinnen eingehen wird. Die Filme sollen mit Live-Musik von Andrea Neumann begleitet werden und fungieren als Impulsgeber für das Gespräch sowie Beispiele für die Überzeitlichkeit der Diskussion.